roter regen | 17

am nächsten morgen war ich fest davon überzeugt, dass ich den mut aufbringen und die tür im keller aufbrechen würde.
ich stärkte mich mit einem doppelten espresso, verschlang zwei semmeln mit butter und marmelade und machte mich dann auf den weg in den keller.
dort unten musste ich als aller.erstes eine axt finden –

und den seltsam stimmlosen sing.sang aus meinem kopf verbannen. ich konnte nicht einmal meine eigenen gedanken hören, so erfüllt war ich von dem gesang, der aus dem keller direkt in meinen kopf drang.

also machte ich wieder kehrt und holte aus einem meiner koffer den mp3.player und die kopf.hörer –
musik würde dieses problem wohl lösen, dachte ich mir.
ich stellte die musik so laut, dass ich mich nicht einmal mehr selbst denken hörte.
so geschützt vor dem sing.sang stapfte ich wieder in keller.

hier unten musste es doch irgendwo eine axt geben!
ich durchstöberte jede ecke, jedes regal, ich öffnete un.mengen an kisten, atmete tonnen.weise staub aus lady eleonores zeit ein –
axt aber fand ich keine.
auch keinen hammer, keine säge, nicht einmal ein kleiner schraubenzieher kam mir unter.

irgendwie hatte ich das gefühl, das haus wollte verhindern, dass ich jene tür öffnete –
ach, hätte ich doch nur auf dieses gefühl gehört.

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roter regen | 16

vormittags.
nach.denken.

mittags.
ein schnelles sandwich am küchen.tisch.

nachmittags.
nach.denken.

abends.
tiefkühlpizza aus dem backofen.

danach.
kein mut mehr, um in den keller zu gehen.

den ganzen tag über hatte ich versucht, alle gedanken an den keller zu vermeiden. doch –
je mehr ich es vermeiden wollte, umso mehr hatte ich dann daran gedacht.
als ich abends meinen schreib.tisch betrachtete, fand ich die alten dokumente über lady eleonore, ihr tage.buch, pläne des hauses –
alles wild verteilt, durcheinander. ich konnte mich nicht erinnern, darin gelesen zu haben. ich wusste nur, ich musste diese tür im keller öffnen.

egal wie.
aber nicht mehr an diesem tag.

ich würde das öffnen der tür auf den nächsten tag verschieben, oder auf den über.nächsten. immerhin mußte ich mir erst eine axt organisieren, einen plan schmieden – und einen freien kopf bekommen.
dann würde ich klarheit schaffen, was es mit dem haus auf sich hatte.

und mich wieder aus dem sog befreien.

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roter regen | 15

da war gesang.

seit ich an diesem morgen aufgewacht war, schien gesang aus dem keller durch das gesamte haus zu schallen. doch irgend.wie nicht richtig laut, ich konnte den gesang mehr fühlen als hören.
wieder murmelte der wider.stand in mir –
und wieder hörte ich nicht hin.

wie sollte man denn bitteschön gesang in sich fühlen?
das klang alles so verrückt.
ich hatte mich zwar seit meinen studien über lady eleonore damit abgefunden, dass die leute in meiner umgebung mich für verrückt hielten, aber im moment war ich selbst davon überzeugt, verrückt zu sein.

es gab nur eine möglichkeit:
ich musste in den keller gehen, mit meiner taschen.lampe, am besten auch mit einer axt, um die tür aufschlagen zu können. dort unten im keller würde ich mich davon überzeugen, dass niemand sang, dass ich allein in meinem rosen.haus wohnte –

und hoffentlich auch davon, dass ich nicht verrückt war.

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* * *

wie alles begann.

roter regen | 14

am nächsten morgen erwachte ich mit stechendem kopfschmerz.
ich setzte mich in meinem bett auf, hatte zuerst keine ahnung, wo ich war, oder warum ich in diesem staubigen bett lag, doch nach ein paar minuten kam meine erinnerung zurück.
beim gedanken an den regen, –

den roten regen –

dem ich mich gestern ausgesetzt hatte, durchfuhr mich ein schauer.
wie hatte ich nur diese unglaublich dumme idee haben können? mich in den regen zu stellen, freiwillig!

ich stand auf, wankte ins badezimmer und wusch mir mein gesicht. als ich mich abtrocknete, bemerkte ich eine rote stelle am haaransatz, klein nur, aber nicht zu übersehen.
ich packte mein handtuch und rubbelte darüber, doch die stelle blieb rot.
bei näherer betrachtung stellte ich fest, dass die stelle aussah, als hätte ich mir roten samt ins gesicht geklebt. ich betupfte den fleck mit einem starken desinfektionsmittel und hoffte, dass sie morgen wieder verschwunden sein würde.

einen kurzen moment lang hatte ich zweifel, ob es die richtige entscheidung gewesen war, das rosenhaus zu kaufen. schon am ersten tag so viele verrückte ereignisse: die tür im keller, der rote regen, samtige flecken im gesicht –
und der gesang schien auch immer stärker zu werden.

hatte ich einen fehler gemacht?
sollte ich besser wieder abfahren, versuchen, dem sog zu entkommen?

oder war es dafür schon zu spät?

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roter regen | 13

die regentropfen, die mein gesicht berührten, fühlten sich samtig an, sie liefen auch nicht so schnell nach unten wie normaler regen, sie schienen mich zu liebkosen, verharrten einen augenblick auf der stelle, um dann weiter nach unten in den kragen meines hemdes zu fließen.

langsam ging ich richtung rosengarten, die treppe hinab.
die rosen, sie zogen mich magisch an, ich hatte das gefühl, sie würden mich vor jedem leid der welt beschützen können.
auch vor dem regen, dem verwirrend roten.

eine zeit lang stand ich unbewegt inmitten meiner rosen.
ich hatte die welt rings um mich völlig vergessen.
erst, als es dann plötzlich donnerte, erwachte ich aus meiner starre, drehte mich um und ging zurück ins haus.

ohne innezuhalten schritt ich bis ins badezimmer, drehte die dusche auf und stellte mich mitsamt meiner kleidung unter den eiskalten strahl.
langsam erwachte ich wieder aus meiner seltsamen starre.
ich fühlte mich unendlich müde, erschöpft, ausgelaugt und leer.

der regen, der mich und die welt rot gefärbt hatte, hatte inzwischen aufgehört.
doch in mir drinnen konnte ich ihn noch immer hören.

ich wusch mir sorgfältig die roten schlieren vom körper, steckte meine rotgefärbten kleider in die waschmaschine, und legte mich in das erste bett, das mir unter kam.
ich hatte das gefühl, meine augen keine einzige weitere minute offenhalten zu können und schlief auf der stelle ein.

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roter regen | 12

der widerstand in mir schien mich festhalten zu wollen.

lass es sein, sieh nicht hin!

murmelte der widerstand.
doch ich konnte nicht anders, ich musste hinsehen.
jetzt erst recht.

der regen hatte meinen rosengarten in ein noch prächtigeres farbenmeer verwandelt, als er ohnehin schon war.
das rot der rosen strahlte –
und doch war es anders als sonst.

ich trat näher ans fenster, um meine rosen besser sehen zu können, und wollte schon die tür öffnen, als mich der gedanke an die nässe dort draußen innehalten ließ.

nein, nass werden wollte ich um keinen preis.
aber meine rosen, die wollte ich sehen, dort draußen im regen.
ein zufälliger blick auf meine bäume rund um den rosengarten ließ mich innehalten.

seit wann waren auch die bäume in meinem garten rot?
dort standen nadelbäume und laubbäume, aber keine roten.
und doch war es so:
in meinem garten standen plötzlich rote bäume.

nein, das entsprach so nicht der wahrheit.
die bäume in meinem garten waren grün, doch der regen tropfte rot von ihnen herab und ließ sie leuchten.
auch das wasser in dem kleinen springbrunnen hatte sich rot verfärbt, die lacken auf der terrasse schienen aus blut zu bestehen, und auf meinem auto zog der regen rote schlieren.

ich war so entsetzt, dass ich meine abneigung gegen die nässe und den regen vergaß und auf die terrasse stürmte.

da stand ich nun, zitternd, im kalten regen, mit zum himmel erhobenen kopf –
und starrte mit weit aufgerissenen augen nach oben.

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roter regen | 11

abgesehen von diesem roten schein war es im keller sehr dunkel, denn die kleinen fenster, die licht hereinlassen hätten können, waren mit dicken brettern vernagelt, und die glühbirne, die von der decke baumelte, hatte wohl einer der vorbesitzer versehentlich zerschlagen und nicht erneuert.
also beschloss ich, mich mit einer taschenlampe zu bewaffnen und den keller genauer zu durchsuchen.

im keller angelangt offenbarte der strahl meiner lampe etwas, das ich niemals erwartet hätte –
als ehemals zuständiger immobilienmakler kannte ich alle pläne des hauses, hatte jeden raum schon mindestens einmal betreten und zumindest einen blick in den keller geworfen.

und doch fand ich an diesem ersten tag in meinem haus eine tür im keller, die laut plan nicht hätte da sein dürfen.
eine tür, die verschlossen war, und die zu allem überfluss weder eine klinke noch ein schloss hatte.

wie also sollte ich in den raum hinter der tür gelangen?
ich brannte darauf zu erfahren, was ich dort vorfinden würde, doch ich hatte keine ahnung, wie ich die schwere holztüre öffnen sollte.

entmutigt ließ ich mich vor der tür zu boden sinken.
so eine große entdeckung, und dann sollte es mir nicht gelingen, das geheimnis vollends zu lüften?

ich schloss die augen, um besser nachdenken zu können –
als ich regen hörte.

gerade eben hatte doch noch die sonne geschienen –
und jetzt regnete es?
ich hoffte, dass ich im keller nicht nass werden würde, wer konnte schon wissen, wie viel wasser bei einem ordentlichen regenguss in den keller eindrang.

ich stieg also wieder nach oben, mit dem plan, mich gemütlich ins wohnzimmer zu setzen und meinen rosengarten im regen zu betrachten.

doch schon an der tür zum wohnzimmer hielt ich inne.

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roter regen | 10

kühle dunkelheit empfing mich.
alle fensterläden waren geschlossen, hie und da drang jedoch ein wenig sonnenschein durch einen schlitz und ich konnte staubkörnchen tanzen sehen.

es fühlte sich großartig an, hier zu sein.
endlich angekommen zu sein.
und ich hoffte, dass ich nun beginnen konnte

zu werden.

erfüllt von einer plötzlichen freude stürmte ich wieder zu meinem auto, um meine besitztümer zu holen. viel war es nicht, was ich mitgebracht hatte, vor allem bücher und unterlagen, die mir das leben der lady eleonore näher bringen sollten, es aber bisher noch nicht getan hatten.
meine möbel hatte ich alle der örtlichen armensammlung gespendet, denn mein rosenhaus war möbliert –
zwar nicht gerade nach meinem geschmack, aber ich wollte nichts an meinem neuen haus verändern, was nicht unbedingt sein musste.

die nächsten stunden verbrachte ich damit, mein neues zuhause zu erforschen, vom dachboden bis zum keller.
es gab nicht sonderlich viele dinge, die meine aufmerksamkeit erregt hätten –
alte bilder an zerfetzten tapetenwänden, mottenbefallene möbel in staubigen zimmern und kitschiger krimskrams, den ich am liebsten sofort entsorgt hätte –
doch ganz hinten in meinem kopf hörte ich eine leise stimme, die mich davon abhielt.

einzig der keller erweckte mein interesse.
er schien zu pulsieren, war von einem eigenartigen roten licht erfüllt –
und wenn ich ganz genau hinhörte, mit geschlossenen augen, glaubte ich

jemanden singen zu hören.

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roter regen | 9

nachdem ich der bank meines vertrauens einige besuche abgestattet hatte, konnte ich sicher sein, dass ich über genügend geld verfügte, um meinen plan auch umsetzen zu können.

also vereinbarte ich einen termin bei meinem ehemaligen boss – diesmal aber als interessierter kunde.
meine exkollegen machten große augen, als ich dann schließlich einen kaufvertrag abschloss –
und damit ein haus mein eigen nennen konnte.
aber nicht irgendeines:
das rosenhaus war das meinige.

als ich das erste mal mit dem auto hinausfuhr, hatte ich nicht mehr das gefühl, nicht hierher zu gehören, so wie all die anderen male zuvor –
ganz im gegenteil, das haus schien sich zu freuen.
wie es sein konnte, dass ein haus sich freute, fragte ich mich nicht.
zu sehr hatte mich schon der sog in seinem bann.

vor aufregung nassgeschwitzt stellte ich dann endlich mein auto am parkplatz vor dem haus ab.
der rosengarten erschien mir mit einem mal noch eindrucksvoller, jetzt, wo es mein rosengarten war.

doch die letzten schritte hin zum eingang erwiesen sich als fast unmöglich.
das parken war noch ein leichtes gewesen, doch die stufen hinauf schienen kein ende zu nehmen, der schlüsselbund wog zentner.schwer in meiner hand und meine beine schienen mit blei gefüllt zu sein.

im nachhinein betrachtet glaube ich, das war das letzte zeichen, der letzte widerstand.
aber tapfer und voller elan hörte ich nicht auf meine innere stimme –

und schloss die tür auf.

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roter regen | 8

also verbrachte ich jede freie sekunde mit diesem buch.
ich verschlang es, wo auch immer ich war, mitunter sogar im büro.
mein boss fand das nicht besonders toll –
und nachdem ich einige termine versäumte, weil ich lesen wollte, lesen musste, war ich meinen job los.

zuerst fand ich es angenehm, einfach nur mehr in meiner wohnung zu sitzen und zu lesen, aber nach einer weile begann es mich zu langweilen.
das buch hatte ich zu ende gelesen –
und das nicht nur einmal.
ich kannte nun jedes pikante detail aus dem lebens der lady eleonore, und es gab einiges, was besser nicht an die öffentlichkeit kommen sollte.
bei mir aber war es sicher –
denn mittlerweile zweifelte ich nicht mehr an der herkunft des buches, ich war davon überzeugt, das wahre tagebuch der lady in meinen händen zu halten. ich glaubte jede auch noch so verwirrende einzelheit –

und ich hatte einen plan geboren, wie ich die wahrheit dessen, was ich gelesen hatte, überprüfen konnte.
dieser plan ermöglichte es mir, das leben der lady eleonore noch genauer kennenzulernen.
und das wollte ich, denn lady eleonore mcalister und ihr gatte waren die ersten besitzer des hauses gewesen.

des hauses, dessen rosen unermüdlich blühten, egal ob im sommer oder im winter.

***

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