so viele elfchen, danke!

Corona
cineastischer Virus
oft im Film gesehen
jetzt Realität geworden
ernüchternd

(danke, mondstein!)


Corona
leere Straßen
angsterfüllte Menschen
alleine in der Welt zurückgelassen
Horrorvorstellung

(danke, sonnenschein!)


Quarantäne
einsame Leere
zwei Zimmer, Bad
alleine, leise, besinnen, hoffen
Stärke

(danke, renate!)


Krankheit
alte Menschen anstecken
zu Hause bleiben
Angst vor Corona
Zukunft

(danke, funki!)


Allein
Einsamkeit leben
Unsichtbares wird sichtbar
Im Fallen wachsen Flügel
Vertrauen

(danke, renate!)


Seuche
spannende Verschwörungstheorien
soll doch glauben wer will
Stillstand genießen
weiterleben

(danke, anneliese!)


schützend
die Maske
in modischen Farben
passend zu meinen Kleidern
vonnöten

(danke, brigwords!)


Angst
Große Augen
Sie sind süß
Es gibt sie nicht
Leider

(danke, lena!)
((lena ist 8 jahre alt, ihr thema war monster.))


Freude
glücklich sein
meilenweit nur Euphorie
tagelange Trauer wie vergessen
Heiterkeit

(danke, lisa!)
((lisa ist 12 jahre alt, ihr thema war liebe.))


*


dies sind nicht meine elfchen, sondern die einreichungen des elfchen.contests,  das thema war coronavirus
vielen dank!

 

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Ich bin fünf Jahre alt – 1948 | Else Seidl

Die klebrige Süßigkeit zergeht in meinem Mund. Es brennt ein wenig in den Zahnlücken. Papa hat mir eine Fondant-Praline mit Schokoladenguss mitgebracht. 
Es schmeckt gut. Gestern waren meine Eltern bei Freunden eingeladen, und immer bringen sie mir etwas mit. Manchmal liegt morgens auch eine kleine Weißbrotscheibe für mich bereit, mit Streichwurst drauf oder mit Ei belegt, meist ist der Brotbelag schon ein bisschen angetrocknet an den Rändern. Das aber nichts – ich freue mich immer sehr über diese Geschenke.

Jetzt hilft mir Mutti beim Anziehen. Ich trage heute mein Lieblingsspielhöschen. Es ist dunkelblau mit Blumen drauf, hat einen Latz vorne um den Oberkörper und Träger, die am Rücken gekreuzt werden müssen und dann mit Knöpfen am Bund befestigt sind. Ich bin schon fünf Jahre alt, aber das kann ich noch nicht alleine machen. Muttis Rock ist aus dem gleichen Stoff genäht und er schwingt um ihre Beine beim Gehen. Manchmal sehe ich ein bisschen vom Spitzensaum ihrer Kombineige. Bei mir ist nichts zu sehen von der Unterwäsche, mein Spielhöschen ist weit und kurz, es schließt aber mit einem engen Bündchen ab. Das mag gern, so bin ich gut eingepackt.

Am Küchenboden liegt schon ein großes Buch für mich zum Anschauen. Ich blättere gerne in diesem Buch. Es ist mein einziges. Die Seiten mit den großen Bildern darauf sind viel glatter, glänzender und ein bisschen rutschiger, anders als die rauen und bedruckten Seiten, die mit den Buchstaben darauf. 
Das Buch ist so schwer, ich kann es selber gar nicht tragen. Am Küchenboden ist viel Platz, alles lässt sich leicht herumschieben. Auch das neue Puppenbett hat Mutti dazugestellt. 
Ich habe es selbst gemacht. Papa hat gestern seinen Vorrat an Zigaretten gestopft, und dabei alle Papierhülsen aufgebraucht. Die leere Zigarettenhülsenschachtel hat er mir gegeben. Ich nehme dann den Deckel ab, stelle ihn auf und schiebe den Schachtelboden dazu, und schon ist das Bett fertig. Das kann ich schon sehr gut. Mein Zelluloid-Püppchen hat genug Platz darin.

Richtig gemütlich ist es heute hier am Küchenboden, auf der einen Seite meine Puppe, auf der anderen Seite das große Buch. Ich kann es kaum fassen, was ich darin sehe: Mördermuscheln, große Würmer, Tiere mit einem Tintensack. Viele Schlangen wachsen aus dem Tier heraus. Da gibt es auch gestreifte Fische und einen Haifisch, puh, so ein grausliches Gesicht hat der. 
„Er frisst Menschen und alles, was sich bewegt“, sagt Mutti. 

Meiner Puppe erkläre ich zwischendurch immer, was ich so sehe und entdecke. 
Was es da nicht alles gibt im Meer!
Da, jetzt wieder, auf der nächsten Seite! Da ist ein fast durchsichtiges Tier abgebildet, mit Pferdekopf und Rüssel und ganz zarten Flossen am Bauch und Rücken und Schwanz ist wie zu einem Schneckenhaus eingeringelt. „Auch dieses Tier schwimmt im Meer“, murmle ich zu meiner Puppe.
Mutti geht in der Küche hin und her, vom Herd zur Kredenz. Sie nimmt von der Lade einen Kochlöffel heraus und trägt ihn zurück zum Herd. Dann geht sie zum Radio, drückt an den weißen Tasten herum und gleich darauf höre ich Musik.
Blue Tango, das wird oft gespielt. Jetzt kommt sie zu mir und tippt mit der Fußspitze auf die Buchseite. „Das ist ein Seepferd“, sagt sie und geht wieder zum Herd. Muttis Rock wippt bei jeder Bewegung und die Spitzen ihrer Kombineige sehen aus wie die Zähne vom grauslichen Haifisch.
Ich mag Muttis Beine. Sie trägt heute Keilschuhe aus Kork. Meine Eltern tragen keine Patschen, ich schon. Mutti häkelt sie für mich aus einem aufgetrennten Wollkostüm.
Die Waden meiner Mutter haben heute keine Naht. Gestern Abend schon: Da hat Papa mit dem Augenbrauenstift aus dem Necessaire eine feine Linie auf Muttis Beine gemalt. Sehr langsam, von der Ferse an, dann über die Wade, ganz genau in der Mitte, bis zum halben Oberschenkel hinauf.
Nachher sind sie zu Freunden gegangen, und ohne Strümpfe geht Mutti nicht aus dem Haus. Ihr einziges, kostbares Paar Nylonstrümpfe war beschädigt und noch nicht zum Repassieren gebracht worden, also hat Papa gestern eben Strümpfe gemalt. Das macht man so, das ist praktisch.

Es läutet an der Wohnungstür. Mutti geht hin und spricht mit dem Briefträger.
Jetzt bringt sie ein Paket herein und stellt es auf den Esstisch. Ich bin ganz aufgeregt, es muss aus Kanada sein, ich erkenne das an der Größe. Wer sonst schickt so riesige Pakete. Mutti strahlt und sagt: „Tante Grete hat uns wieder etwas geschickt. Wir warten, bis Papa heimkommt, dann machen wir es auf und schauen, was drinnen ist.“ Mutti ist so glücklich und auch ich freue mich so sehr. Ein Paket aus Kanada! Das bedeutet für uns so etwas wie ‚Leben im Schlaraffenland’. Wir haben dann eine Weile herrliche Köstlichkeiten zu essen, die es bei uns gar nicht gibt. Nicht für Geld und nicht im Tauschhandel.

Mutti schickt mich in den Hof spielen. Das Buch am Küchenboden bleibt liegen, die Puppe im Schachtelbett auch. Ich schlüpfe in meine Sandalen, nehme das Netz mit meinem Gummiball und laufe in den Hof hinunter. Dort werfe ich den Ball gegen die Hauswand. Ständig denke ich an das Paket. Eine Nachbarin vom ersten Stock wirft mir ein Stollwerk herunter und meint, ich soll woanders spielen. Das Stollwerk ist süß und weich, es schmeckt gut.

Ich laufe wieder hinauf in die Wohnung und setze mich zum Esstisch. Vor mir liegt die Postsendung. Ganz behutsam umarme ich das Kanada-Paket, lege vorsichtig meinen Kopf darauf und schließe die Augen. Jetzt stelle ich mir vor, wie es sein wird, wenn endlich, endlich die Paketschnur entfernt ist, alle Briefmarken ausgeschnitten und im Sammelkuvert verstaut sind und Papa feierlich die Paketflügel auseinander klappt.

Plötzlich ist da ein Schatten. Es ist etwas Dunkles, es macht mir Angst. Ich treibe im Meer. Das Wasser ist trüb und grau. Das Paket halte ich fest umklammert. Helle Zackenspitzen sehe ich vorüber gleiten. Ist Mutti auch hier mit mir im Meer? Noch fester halte ich meine Schatzkiste, sie darf nicht verloren gehen. Die Zackenspitzen kommen wieder näher, es ist der Hai! Er will sicherlich das Paket und mich noch dazu!
„Hilfe! Mutti, Mutti, hilf mir! will ich rufen, aber keine Stimme kommt aus meinem Mund.

Da sagt Mutti: „Elsekind, wach auf! Papa ist da!“ Und da kommt er auch schon hereingestürmt, er hebt mich hoch und ruft: „Servus Puppenkind, mein Liebes, komm, jetzt machen wir das Paket aus Kanada auf.“

Na endlich, jetzt ist es soweit. Ich suche nach der blauen Schachtel, die mit den Zuckerwürfeln drinnen. Meistens liegt sie ganz obendrauf. Aber sie ist nicht da.
Wo ist sie, die blaue Schachtel? „Kommt schon noch, warte“, sagt Papa. Er zeigt mir das Holzkästchen mit den getrockneten Marillenhälften. „Die kann man hier gar nicht kaufen“, meint Mutti. Die Marillen schmecken süß, sauer und ein bisschen zäh. Da sind die bunten Dosen mit dem Obst drinnen: Pfirsiche und Birnen und hellgelbe Scheiben mit einem Loch in der Mitte. Ich finde drei graue Dosen mit Sardinen. Eine davon wird für Weihnachten aufgehoben, da macht Papa Sandwiches draus. Mutti freut sich über die gute Toilette-Seife, Kondensmilch in der Tube ist da und eine Packung mit Kaffeebohnen, auch das
wird für Weihnachten aufgehoben, das weiß ich schon. Papa holt ein weiches glänzendes Papiersackerl heraus. Wie ein Polsterl greift es sich an. „Tabak, aha“, sagt Papa.
Für mich ist auch ein hellblaues Sommerkleidchen dabei, aus Perlon, mit Rüschen am Rock. So einen Stoff gibt es bei uns gar nicht. Das Kleid ist ganz leicht, wie eine Feder und durchsichtig. Man muss es über ein Unterkleid anziehen.
Die Kaugummipackerl liegen dazwischen herum. Peppermint und Wild Cherry.

„Wildkirsche“, sagt Mutti. Ich weiß nicht, was Wildkirsche ist, es schmeckt ausländisch. Und da, die lustigen Micky-Mouse-Hefte, sie sind so bunt und fröhlich. Einige Buchstaben in den Sprechblasen kann ich schon lesen und gemeinsam mit Papa sprechen wir gleich ‚Mickey-Mouse-Englisch’.

Aber wo ist die blaue Würfelzuckerschachtel?

Da ist noch Orangenmarmelade, Kakao-Pulver und eine ovale Dose mit Corned Beef. Schokoladetafeln stecken zwischen dem Sack mit den Dörrpflaumen und den Nylons für Mutti. Rotweiß geringelte Zuckerstangen und Pfefferminzpastillen
hat Tante Grete auch dazugelegt. Da sind ja auch Buntstifte und ein Malblock.
Und darunter sehe ich etwas Blaues, es ist die blaue Kartonkassette mit dem weißen Dampfer drauf. Papa öffnet ganz vorsichtig die Schachtel und da liegen sie, die vielen kleinen schneeweißen Zuckerwürfel. Sie stecken ganz dicht beieinander und ein Stück davon darf ich mir gleich nehmen. Man kriegt es kaum heraus, so fest steckt es im Zuckerblock. Behutsam muss ich den Schachtelrand ein wenig ausbeulen, und jetzt kann ich endlich den ersten Zuckerwürfel herausschälen.
Er glitzert so schön in meiner Hand.

***

Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

 

Sirenen | Anneliese Höller

Wir Sirenen, zu Hause im Tyrrhenischen Meer, altbewährt seit Homers Mythen, grüßen Dich, Fremder!

Ja, Odysseus, der König von Ithaka, hat den Rat der Zaubergöttin Kirke befolgt und seiner Mannschaft auf seiner Irrfahrt vom Trojanischen Krieg nach Hause die Ohren mit Wachs verklebt. Odysseus selbst hat sich an den Schiffsmast binden lassen, er hörte die Gesänge, konnte ihnen aber nicht folgen.
So ist er uns – halb Vögel halb Jungfrauen, ursprünglich Todesdämonen – und unseren verführerischen, betörenden, verlockenden Gesängen entkommen, und wir konnten ihn nicht durch den Sog der Gesänge anlocken. Dank der Zauberin Kirke konnte er seine Irrfahrt nach Hause mit vielen weiteren Hindernissen fortsetzen.

Wir aber, wir Sirenen, haben uns durch die Zeitgeschichte gekämpft, und es folgen unseren betörenden verführerischen Gesängen auch heute noch sehr, sehr viele Menschen durch die Irrfahrt ihres Lebens.

Ich hab dich schon verführt, du bist von mir abhängig, kannst ohne mich nicht mehr bestehen. Schrecklich vermissen wirst du mich, wenn du mich verlierst. Meine Kraft und Stärke darfst du nicht unterschätzen. Du bist dem Ruf der Sirene der Abhängigkeit gefolgt, denn ich bin die Sirene der Sucht. Ja, die Sucht der harten Drogen und des Alkohols habe ich über. Morpheus, der Gott der Träume, und der Gott des Weines, Dionysos, für den Wahnsinn und der Ekstase zuständig, wird euch guttun.
Der Kick durch einen Stich in die Vene – und du bist im Land der Träume, wohlfühlend warm, ruhig bist du dann. Keine Sorgen plagen dich. Du hast keine Gefühle mehr anderen gegenüber, dein Gesicht ist wie eine Maske, einfach emotionslos. Du brauchst mich sofort wieder, wenn die Wirkung des Morphins, des Kokains oder Heroins aus ist. Schmerzen in den Knochen werden dich plagen, du zitterst und frierst. Jetzt brauchst du Geld, du brauchst wieder den Stoff für deine Träume.

Ohne mich kannst du nicht bestehen, stehlen musst du, die ganze Familie betrügen. Du folgst meinen verführerischen Gesängen, dein Körper und deine Psyche gehorchen mir.

Ach, noch ein Reise-Achterl Wein, du schwankst schon und trinkst es trotzdem, steigst noch ins Auto und fährst kurvig davon. Ein Bier noch für in der Früh, sonst kommst du nicht in Schwung.
Die Krallen der Sucht stecken fest.
Wenn ihr aber sehr gut verdient, könnt ihr euch das alles leisten und gut vor der Gesellschaft verstecken, dann wirst du auch nicht kriminell, gönnst dir Frischzellenkuren und Vitaminpillen, die deine durch Kokain zerfressene Nase wieder richten, meine Gesänge verführen euch weiter. Ich hab euch doch fest in meinen Händen.

Kann ich euch vielleicht helfen, fragt die elegante Sirene der Schönheit, mit Cremen, Peelings, Lifting gegen schlaffe Augenlidern, Frischzellenkuren für besseres Erscheinen und Auftreten in der Gesellschaft, schöne Zähne, Entwässerungstabletten gegen das Aufgeschwemmt sein. Kein Interesse vorhanden.
Kommt kein Echo von euch, dann geh ich wieder.

Na vielleicht wär ja noch der Sport etwas: Immer höher auf die Berge, immer gefährlicher in die Tiefen der Berge, auf jeden Fall gefährlich muss es sein, hart erkämpft muss der Erfolg sein, hättet dann ja auch euren Kick und die Adrenalin-Ausschüttung. Gut, auch nicht angekommen, bleibt im Land der Träume.

Die Verlockung der Macht, schreit die energische Sirene, ich bin die Macht, hört ihr mich. Ich lenke viele Menschen, bin sehr erfolgreich, kann sogar Konflikte auf der Welt und Kriege anfachen. Aber ihr habt ja keine innere Kraft, Elan und Ehrgeiz braucht ihr dazu. Wollt ihr denn gar keine Macht, ich geb es auf, dreh den Rücken beleidigt zu Euch.

Gut, wie wär’s mit der Liebe, die ist doch auch eine Sucht, eine Sehnsucht nach anderen, braucht Ihr den Niemanden an Eurer Seite? Ich denke nicht an die Liebe der Abhängigkeit von einander, sondern an die wirkliche Liebe. Keine Kraft und keine Emotionen mehr? Aber vielleicht braucht ihr die Sirene der abhängigen Liebe, wiederstandlos den anderen ausgeliefert, keine eigene Meinung mehr, willenlos, wie Marionetten an Fäden.

Bin an die falschen geraten, hab’s schon verstanden. Bleibt bei eurer Liebe zum Morphin, dem Kokain, Heroin und dem Alkohol, das ist ja dann eure größte Liebe. lch schick euch die Verlockung des Glückspiels, stellt euch nur vor, da könnt ihr sogar etwas gewinnen und es ist spannend an den Glücksspielautomaten, auch ein gewisses Kribbeln. Zu wenig Anreiz zur Magersucht, seid sowieso schon ausgezerrt. Morpheus und Dionysos haben eine Freude mit Euch beiden, auch die Sirene der Sucht singt weiter.

Ein Schiff wird kommen und ihr werdet die Ohren verstopft haben und an einen Mast gebunden sein. Erst dann werden wir verstummen.

Noch einen sirenenhaften Gruß von uns Sirenen!

***

Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

Island | Walter Heugl

Sie, der wir anvertraut sind, meint, als wir besprechen, was wir morgen vorhaben: „Morgen gehen wir baden.“ Na ja, warum auch nicht. Noch ist es zwar einigermaßen kühl, aber trocken und auch fast windstill. Windstill? Das ist hier selten!

Wird sich aber deutlich ändern, denn es ist neun, als wir aufbrechen. Jetzt, wo es so richtig windet und auch ein wenig schneit?
Wir sind insgesamt 36, aber nur sechs von uns trauen sich, heute baden zu gehen. Für die meisten ist es zu abenteuerlich. Doch sechs von uns sind abenteuerlustig genug und stapfen so dahin, bis wir runter sehen. Dort unten sollen wir baden gehen? Jetzt, wo es so richtig stürmt und schneit? Und wie kommen wir da runter? Doch wir haben uns dazu entschlossen, und irgendwie werden wir wohl runterkommen. Runtergekommen sind noch alle! Irgendwie zumindest! 
Wir schaffen es, und das auch heil! Es ist zwar ein wenig rutschig, doch wir kommen gut unten an.

Geschafft! Was hier so herumschwimmt, ist vulkanisch und steinig*. Hier unten ist es fast windstill und es schneit ein wenig. Wir ziehen uns aus, verstecken alles, damit es trocken bleibt, und dann rein! Es ist angenehm warm hier drinnen. Es dampft! Wir schwimmen. Herrlich!
Bis sie, der wir anvertraut sind. meint: „Genug jetzt! Mehr kann ungesund sein.“ Schade! Doch sie wird’s schon wissen.

Und so ziehen wir uns wieder an und stapfen zurück. Einige andere fragen uns, wie’s war. Es war herrlich und wir erzählen begeistert. 
„Ja, wenn wir das gewusst hätten!“ 
„Selbst schuld. Wir haben’s auch nicht gewusst. Doch wir haben’s eben gewagt.“

*
Anmerkung: Der Text war eine der Übungen aus der Schreibwerkstatt: Schreibe einen Text ohne Hauptwörter. Beschrieben wird hier – wie man trotz fehlender Nomen unschwer erkennen kann – ein Bad im Viti-Krater der Hekla auf Island. ‚Vulkanisch und steinig’ ist deshalb die Umschreibung für Bimsstein.

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Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

Kinder der Erde | Karoline Heindl

Wir erschaffen uns immer wieder eine neue Gegenwart mit all den Erfahrungen aus der Vergangenheit!
Wir Menschenkinder sind auch Kinder des Universums, haben die Fähigkeit, unser Sein täglich neu zu gestalten, denn wir befinden uns im Fluss des Lebens, der laufend seine Richtung ändert.

Wir Kinder der Mutter Erde, die ein Juwel im Universum ist, sind verbunden mit allem, was ist und je sein wird, wir sind für sie verantwortlich.
Wir sind nicht nur unser Körper, unsere Gedanken und unser Atem, wir sind unsterbliche Seelen, sind Mitschöpfer im Universum, und tragen auch Verantwortung für unseren Heimatplaneten.
Auch wenn es Zerstörung gibt, entsteht immer wieder etwas Neues! 
Genieße alles voller Dankbarkeit, was sie uns an Schönheiten schenkt, und alles, was schmeckt. 
Besondere Energiegewalten, die auch in uns wirken, aus Erde, Feuer, Wasser und Luft, gestalten unser Verhalten. 
Viele Geschichten, Märchen und Sagen erzählen uns wundervolle Geschichten über die besonderen Schätze der Natur und ihre Geheimnisse –
ohne diese elementaren Naturkräfte gäbe es kein Leben auf diesem schönen Planeten.

All diese vielen bunten Geschichten und Sagen über heilende Quellen, Nixen, Zwerge, Elfen, Riesen, Naturgeister und Salamander entführen mich wieder in das Reich meiner Kindheit, in der ich nur an das Gute glaubte, an Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, die nicht hungern müssen, keine Kriege führen, und die die Schönheiten der Erde mit ihren besonderen Energieformen und den Reichtum der Natur schätzen und bewahren.

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Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

Im Wimmerholz spukte es | Ernst Hansbauer

Oft waren wir mit Mutter in dem Wald, der sich bis auf 100 Meter oberhalb unseres Hauses ausdehnte.
Mutter pflückte Reisch, ein besonders langwüchsiges, hartes Gras, aus dem sie Matratzen machte und Pantoffel flocht. Meist hatten wir einen hölzernen Radlbock mit, auf dem wir vor allem Kropert, das waren kleine dürre Fichtenzweige, aufluden. Das Kropert wurde als Einstreu im Stall verwendet, aber auch als Unterkennt, also zum Ofeneinheizen, bevor Scheiter daraufgelegt wurden.
Es war immer abenteuerlich im Wald. Eichhörnchen trieben ihren Schabernack, Fasanen gingen oft erst hoch, wenn wir direkt vor ihnen standen, und beim Heimgehen schreckten wir oft einen Schwarm Rebhühner auf, die dann ganz nieder durch die Luft schwirrten. Einmal fanden wir im „heimlichen Steig“ drei kleine Schleiereulen unter einer Fichte kauern. Wir versuchten, sie groß zu ziehen. Ob es gelang, weiß ich nicht mehr, aber sie waren lange um uns.
Im Sommer sammelten wir auch Kübelweise Himbeeren, aus denen Marmelade gemacht wurde.
Eine Schale Himbeeren mit reichlich Rahm und Zucker war der Leckerbissen.
Einmal war meine Mutter allein unter den Mannshohen Himbeersträuchern unterwegs, als plötzlich ein für sie zunächst unbekanntes Wesen auf allen Vieren auf sie zu gekrochen kam.
Mutter blieb das Herz stehen. Das Ungeheuer kam ganz nah an sie heran, hob etwas seinen Kopf, schaute ihr lange in die Augen und verkroch sich wieder im Staudendickicht. Später erfuhr Mutter, dass es in Taiskirchen einen geistesgestörten jungen Mann gab, der normalerweise eingesperrt war.

100 Meter unterhalb unseres Hauses war nach einer steilen Leitn ein Gellert, das sind feuchte Gebiete, auf denen Stauden, Erlen und Haselnüsse wuchsen. In dem Gebüsch stand ein uraltes Holzhaus. Die Ferchtl Res wohnte darin. Wir Kinder glaubten, sie sei eine Hexe, nicht nur weil sie so aussah, sondern weil wir immer zu Tode erschraken, wenn sie uns aus einem der Fenster anglotzte. Im Lauf der Jahre wurde sie immer schwächer, man sah sie nicht mehr im Freien, doch wenn man in der Nähe vorbeiging, hörte man oft ein Pumpern.
Vom Bett aus versuchte sie nämlich immer, mit einem Stock die Ratten zu vertreiben. Man fand sie erst einige Tage nach ihrem Ableben – nicht sie, sondern was noch von ihr übrig war.

In diesem Gellert war auch eine Quelle, die zu einem Bründl führte. Von hier mussten wir mit einem Leiterwagen das Wasser für Stall, Küche und Wäsche holen. Im Spätsommer und im Herbst hatten wir meist kein Wasser. Die Quelle, aus der ein Widder das Wasser in ein großes Bassin oberhalb unseres Hauses pumpte, war oft versiegt. Ein Widder ist eine Wasserpumpe, die nicht mit elektrischem Strom angetrieben wird, sondern sich die Energie aus dem Staudruck des Wassers holt, um das Wasser nach oben zu befördern.

Mutter hatte nicht nur selbst sieben Kinder, sondern nahm von armen Mägden Kinder in Pflege.
Manchmal entbanden sie auch in unserem Haus. Vater arbeitete damals in einer Großtischlerei in Linz und schimpfte Mutter, wenn sie wieder ein neues Baby aufgenommen hatte. Das Geld, das die Kindesmütter schuldig waren, kassierte immer Vater. Das führte oft zu Streitigkeiten, weil Mutter nur über das Geld verfügte, das sie für Milch, Butter und Eier einnahm. Wenn Vater am Wochenende Heim kam, brachte er für jeden von uns einen kleinen Bensdorp-Riegel mit.

Vater hätte nicht schimpfen sollen wegen der Pflegekinder. Er war nämlich das dritte Kind unserer
Großmutter, die Magd bei einem Bauern in Lamprechten war. Die ersten zwei Buben nahmen ihre Eltern zur Pflege. Als jedoch noch ein Kind kam, waren sie nicht mehr in der Lage, es zu versorgen.
Die Bauersleute sagten, dass sie mit dem Kind nicht bleiben könne. Sie fand eine alte Frau, die in einer kleinen Keusche wohnte, einige Gehstunden vom Bauernhof entfernt, die den Kleinen aufnahm und ihn mehr schlecht als recht versorgte.
Mein Vater sagte oft: Ich bin so klein geblieben, weil ich als Kind nicht genug zu essen hatte.

* * *

Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

 

Liebe geht durch den Magen | Verena Grabenhofer

Schon zehn vor sechs!
Ich muss noch ganz schnell zu Maria in den Bioladen, um grünen Salat und Hirse zu besorgen. Für heute Abend um acht habe ich Margarethe und Toni eingeladen, die stehen auf Bio-Essen aus der Region. Da darf nichts schiefgehen, denn ihre Zwillinge, David und Samuel, sind meine Schüler.
„Jetzt in den Ferien sind sie bei der Oma“, hat mir Margarethe erzählt. Da hätten sie und Toni Zeit für einen geselligen Abend mit Freunden.
Margarethe ist als Gesundheitsdozentin über die Grenzen unseres Ortes hinaus berühmt: kein Fleisch, keine Milchprodukte, kein Zucker, niemals Fertigprodukte, stattdessen Getreide in allen Aggregatzuständen und Rohkost in sämtlichen Farben. McDonald’s ist ihr Lieblingsfeind. Wenn Margarethe von den schädlichen Langzeitfolgen der durch unsere Zivilisationskost verursachten Mangelernährung referiert, nickt Toni ernst und isst hingebungsvoll alles, was man ihm vorsetzt. Das tut er allerdings auch dann, wenn er mit meinem Mann abends zum Holzer-Wirt geht, der als besondere (und einzige) Spezialität des Hauses eine heimische Schlachtplatte vom Schwein mit dazugehörigem Obstler anbietet.

Ich stelle meinen Wagen in der Eile etwas zu schräg am Straßenrand gegenüber dem Bioladen ab und stürze hektisch ins Geschäft. Hier riecht es immer wie in einem vegetarischen Schlaraffenland: frisch, pflanzlich und gesund. „Hi Verena“, begrüßt mich Maria strahlend. An der Käsetheke steht eine Dame, eingepackt in einen naturreinen Lodenmantel und bedeckt mit einem großen grünen Filzhut samt seitlich wippender Fasanenfeder. Sonst ist niemand mehr im Laden. Da komme ich gleich dran, stelle ich beruhigt fest.
Ich schnappe mir aus der Gemüsekühlung einen knackigen Kopf Eichblattsalat. Ein Kilo inländischer Goldhirse fällt wie von selbst aus dem blank gescheuerten Vollholzregal in meinen ungeduldigen Arm, und schon stehe ich an der Kasse, gleich neben der Käsetheke.

„Was darf ich Ihnen denn sonst noch Gutes einpacken, Frau Bauernfeind?“, lächelt Maria die Dame vor mir an.
„Ist der Roquefort frisch?“ Frau Bauernfeind wirft einen prüfenden Blick über den
Rand ihrer goldenen Gleitsichtbrille auf den edlen Käse.
„Heute frisch angeschnitten, Frau Bauernfeind“, lächelt Maria.
„Dann geben Sie mir doch fünf Dekagramm, aber packen Sie ihn gut ein.“
Maria nickt freundlich: „Gerne, Frau Bauernfeind.“

Lächelnd lässt sie vorsichtig und ganz langsam das schmale Weichkäsemesser in den Roquefort gleiten.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Vor meinem inneren Auge schweben Birnen und Walnüsse mit Vogerlsalat zum Roquefort auf den Teller. „Aber Käse verstopft die Arterien“, erklärt Margarethe immer, und deshalb gibt es heute Abend bei mir Gemüsesuppe mit Dinkelnudeln und dann – ohne Ei, denn Eier erhöhen ja den Cholesterinspiegel.
Ich sehe auf die Uhr und räuspere mich scheu. Es ist fünf vor sechs und ich spüre kleine ungeduldige Bläschen in mir hochsteigen.
Frau Bauernfeind nimmt würdevoll den Roquefort in Empfang und lässt suchend ihre Augen durch die Scheibe der appetitlichen Käsetheke wandern. Ihr Einkaufskorb ist bereits proppenvoll mit Gemüse, Fruchtjoghurt, Freilandeiern, veganen Gummibärchen, Schokoriegeln, alles Bio.

„Haben Sie noch einen Wunsch, Frau Bauernfeind?“ Lächelnd wischt Maria das Weichkäsemesser blank.
„Ach ja, der Bergkäse dort, wo kommt denn der her?“ Frau Bauernfeind deutet auf ein riesiges goldgelbes Käserad.
„Aus Tirol, Frau Bauernfeind.“
„Aus Tirol, hm, hm. Ist der laktosefrei?“
„Selbstverständlich, Frau Bauernfeind, der ist vier Monate gereift.“
„Ach, und wie schmeckt der?“
„Ein würziger Tiroler, Frau Bauernfeind, den müssen Sie probieren!“
Maria wuchtet lächelnd den schweren Käselaib in die Höhe und greift zu einem gigantischen Messer mit zwei Griffen. Unter Einsatz ihres Körpergewichts teilt sie das Käseungeheuer in zwei Hälften. Dann reicht sie Frau Bauernfeind ein dünnes Scheibchen des prallen Tirolers zum Kosten. Frau Bauernfeind schließt die Augen, schnuppert andächtig und schiebt sich den leckeren Happen auf die Zunge.
„Na, dann geben Sie mir halt ein kleines Stückchen“, erlaubt sie Maria kauend. Die Fasanenfeder nickt bestätigend.

Draußen schlägt die Kirchturmuhr sechsmal. Ich trete vom rechten Standbein auf das linke. Die Hirse muss zwanzig Minuten kochen, und der Auflauf braucht dann noch mindestens eine halbe Stunde im Rohr. Inzwischen muss ich die Suppe zaubern. Nervös zupfe ich an den Blättchen meines Eichblattsalates. Kann die Tante sich vielleicht ein bisschen sputen?

„Was darf es sonst noch sein, Frau Bauernfeind?“ Marias Lächeln muss angeboren sein.
„Der Rinderschinken sieht auch gut aus. Können Sie mir von dem zwanzig Deka dünn aufschneiden?“
„Aber natürlich gerne, Frau Bauernfeind.“ Maria stülpt sich flink die hauchdünnen Plastikhandschuhe über, und schon radelt sie lächelnd Blättchen für Blättchen des saftigen, tiefroten Schinkens hauchdünn aufs Papier.
Tja, das dauert!

Während der herzhafte Schinkenduft meine Sinne betört, denke ich an das Dessert meines heutigen abendlichen Festmahls. Es gibt Getreidekaffee mit Hafermilch zum – Gott sei gedankt für meine umsichtige Vorausplanung – gestern gebackenen, mit Honig gesüßten Vollkornkuchen.
Trotzdem sehe ich eine dicke rote Panikattacke langsam auf mich zurollen. Bei dem Versuch, ruhig durchzuatmen, platze ich fast. Ich probiere es nochmals mit dem Trick des Räusperns, diesmal lauter und bestimmter.
Da dreht sich die Dame um und ich sehe ihr erstmals ins Gesicht.

„Ja, wissen Sie“, sagt sie mit entschuldigender Miene. „Ich kaufe heute viel mehr ein als sonst. Wir haben nämlich jetzt zwei Mäuler mehr zu stopfen.“
„Ach ja?“, antworte ich gereizt und will jetzt wirklich keine Geschichten hören. Ich schiele auf meine Uhr, aber die droht mir: 15 Minuten nach sechs!
„Ja,“ verrät sie mir verheißungsvoll, „seit gestern sind meine Enkel bei uns auf Besuch. Sie mögen es so gerne, wenn die Oma für sie kocht. Natürlich kaufe ich nur gesunde Sachen für die Buben, die sind ja noch im Wachstum.“
Jetzt werde ich doch etwas hellhörig. „Wie heißen denn Ihre Enkelkinder?“, frage ich interessiert.
„David und Samuel“, sagt Frau Bauernfeind und lächelt selig.
„Ach, wie nett“, murmle ich verständnisvoll und sehe gerade noch, wie sich eine Politesse mit kleinem Block von meinem schief geparkten Auto entfernt.
Aber eine Einladung meiner Freunde lasse ich mir selbstverständlich etwas kosten.

* * *

Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

Elfenvolk | Renate Gaggl

Unterm Farn im feuchten Moos,
ist bei Mondschein ganz schön was los.
Elfenvolk ist aufgewacht,
Alberich hat laut gelacht.

Glucksend fliegen Elfen von Blatt zu Blatt,
der Wasserfall schimmert silbern matt.
Zarte Flügel, kleine Wesen ,
Zauberstäbe, keine Hexenbesen.

Auf der Lichtung ein kleiner Reigentanz,
Flügel glitzern im Mondscheinglanz.
Nebelschwaden, Morgentau,
da ist auch ein Einhorn, schau!

Trolle kommen aus dem Pilzenhaus,
sie sind den Lichtwesen ein Graus.
Aus der Welt der Sagen und Legenden,
kamen sie, um das Gute zu beenden.

Ein steter Kampf von Dunkel und Licht,
nur wir Menschen, wir merken das nicht.
Eulen, Käuzchen, sprechender Baum,
Kindern sagt man: „Schatz, das war nur ein Traum!“

* * *

Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

 

Elefanten | Silberfüchsin

Zusammengepfercht in zwei Glasvitrinen stehen meine Elefanten, etwa sechzig an der Zahl.
Zusammengetragen, gekauft, auch geschenkt bekommen, beginnend im Jahre 1972 bis vorläufig zum Jahre 2012. Sie stammen aus Ländern, in denen tatsächlich Elefanten leben, aber auch aus solchen, wo diese klugen und sozialen Riesen besten- bzw. schlechtestenfalls im Zoo vorkommen.

Sie sind winzig, klein und größer, sie sind aus Holz, aus Glas, aus Porzellan, aus Pappmache, aus Messing, aus Ton, aus Plüsch, hängen auf Seide abgebildet als Bild an der Wand, stehen als Blumenständer am Boden.

Alle eint die Ausstrahlung und das Gefühl von Ruhe, Kraft und Stärke, und alle sind ein Symbol des Glücks.

Man sagt auch, Elefanten sollen mit dem Rüssel nach oben in Richtung zur Tür herein aufgestellt sein, also das Glück sozusagen hereintragen.
Meine Geschichte der Elefanten, meines Lieblingstieres neben meiner realen geliebten Stubentigerin, beginnt vor mehr als 45 Jahren auf einer Reise nach Israel.

Es war 17 Uhr 30, als der Transferbus mit unserer Reisegruppe vor dem Hotel in Tiberias hielt, schnell waren die Zimmer bezogen, und noch schneller das Haus wieder verlassen. Die Straße und das gesamte Gelände, das ich in der Folge beschritt, führte etwas abschüssig zum See Genezareth hinab. Das war alles, was ich sechs Stunden später noch wusste. Leider zu wenig, um den richtigen Rückweg in der längst finsteren Nacht wieder zu finden. Im jugendlichen Leichtsinn ließ ich mich zu diesem Ausgang überreden. Weder ich noch der mir bis dahin kaum bekannte Begleiter hatten sich Name und Straße unserer Unterkunft gemerkt. Das sollte mir nie mehr in meinem Leben passieren. Nach bangen Stunden und sehr freundlichen Taxifahrern hat sich nach langem Herumirren in einem scheinbaren Labyrinth weit nach Mitternacht das Hotel wiedergefunden.
Vieles hat mir in Israel gefallen, nicht nur das Frühstück im Kibbuz mit dem frisch gepressten Orangensaft aus Orangen von den Bäumen gleich daneben, mich hat beeindruckt, was der intelligente Mensch in und aus der Wüste alles machen kann und wie lebendig und vorstellbar die Bibelgeschichte plötzlich wurde.
Teilweise beängstigend war das an jedem Straßeneck präsente Militär. 
Am Strand von Tel Aviv ist mir noch Udo Jürgens in die Quere gekommen, dort schlendernd mit einem Mädchen, wohl keine siebzehn Jahr.

© Silberfüchsin

Und immer, wenn ich meine beiden schwarzen Elefanten aus Ebenholz sehe, die mit mir neben zwei Keramikbildern von Felsendom und Klagemauer und einer Menora aus Messing die Heimreise angetreten haben, kommt mir bei Israel diese Anekdote mit der Herbergssuche und den daraus resultierenden Fingerzeig für mein späteres Leben in den Sinn:
„Vergiss in einer fremden Stadt nie die Adresse deiner Unterkunft“.

“Jede Sekunde wird ein Kind geboren“, so lautete ein Satz in meinem Film, den ich 1976 über diese Reise gemacht hatte, damals waren es 650 Millionen, heute sind es 1,4 Milliarden Einwohner. Die Rede ist von Indien, der volkreichsten Demokratie der Welt. Ein faszinierendes Land, in dem Licht und Schatten eng beieinanderliegen. Die bunte Farbenpracht der Kleidung, Menschen mit freundlichen Gesichtern, die in Morast und bitterer Armut hausen. Prunkvolle Maharadscha-Palästen und daneben Menschen, die kein anderes Zuhause als die dreckige Straße kennen.
Der Film „Slumdog Millionär“ hat nicht überzeichnet.
Eine der größten Persönlichkeiten der Weltgeschichte, Mahatma Gandhi, dessen Leben im gleichnamigen Film achtfach Oscarprämiert wurde, hat maßgeblich zur Unabhängigkeit Indiens von der britischen Kolonialherrschaft im Jahre 1947 beigetragen. An der Parade zu diesem Andenken, die jedes Jahr am 26. Jänner in Neu-Delhi abgehalten wird, war ich Zaungast. Heute zählt Indien zu den größten Volkswirtschaften der Welt, ist ganz vorne am IT-Sektor und in EDV-Dienstleistungen – es ist leicht möglich, dass ein vermeintlicher Anruf in Düsseldorf in Wirklichkeit in Bangalore ankommt, an der Sprachfärbung ist kein Unterschied zu erkennen. Bedeutungsvoll ist die Pharmaindustrie und die Filmproduktion im sogenannten Bollywood in Mumbai, das bis 1996 Bombay hieß. Und andererseits ist der katastrophale gesellschaftliche Rückstand in Sachen Gleichbehandlung der Frau und deren Rechte allgegenwärtig. Kontraste überall.

Nie zuvor in meinem Leben hatte ich ein so schönes Bauwerk wie das Taj Mahal in Agra gesehen – weißer Marmor, eingelegte Edelsteine, und es ist ein Grabmal. Nie zuvor und auch nicht danach hatte ich so scharf und so preiswert gegessen.
Zum ersten Mal sah ich auch richtige Elefanten. Ja, ich bestieg sogar einen, besser gesagt, ich wurde auf eine Art hölzernes Podest hinaufgehoben, um auf dem Rücken eines solchen Giganten die Festungsanlage Amber Fort in Jaipur zu erreichen. Damals machte man sich noch wenig Gedanken, ob diese Transportart auch tierfreundlich war. Ein wackeliges und heiteres Erlebnis war es allemal.

© Silberfüchsin

Drei Elefanten haben mit mir die Heimreise angetreten. Einer aus dunkelbraunem Holz mit fein eingeschnitzter Decke, einer aus elfenbeinfarbigem Stein, und einer aus kleinen Holzstäbchen geformt, allesamt behutsam eingewickelt in zweimal sechs Meter Seide, soviel Stoff braucht es für zwei Saris. Die spezielle Wickeltechnik habe ich inzwischen mangels Anwendung längst vergessen. Dank YouTube dürfte es kein Problem sein, diese wieder zu erlernen. Die kleinen Riesen erinnern mich immer gerne an diese ganz andere Welt, im Wechselspiel zwischen Farbenrausch, bitterer Armut und technologischem Fortschritt.

Ein rosarotes Kerlchen, nicht größer als sechs Zentimeter, ist mein Elefant aus Portugal, den ich neben dem Torre de Belem am Mündungstrichter des Tejo, zusammen mit dem Hahn von Barcelos, ein Sinnbild für Gerechtigkeit, heimgebracht habe.

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Besonders erinnert mich dieses Tierchen aber an die Anekdote, als ich für den berühmten Aufzug in Lissabon, der die Stadtteile Baixa und Chiado verbindet, ein Ticket gelöst hatte. Nicht weiter aufregend, ich zahlte meiner Meinung nach nicht viel, aber auch nicht wenig Escudos, Portugal war noch nicht in der EU. Als ich allerdings zu Hause mir diesen Fahrausweis nochmals näher ansah, bemerkte ich, dass sich die Gültigkeit auf ein Jahr erstreckte. Schade, dass ich den Ausblick auf diese wunderbare Stadt auf Hügeln vom 45 hohen Elevador de Santa Justa aus nur einmal genossen habe.

Mein erster Aufenthalt in Marokko im Jahre 1986 war eine Rundreise zu den vier Königsstädten. Eine davon war Marrakesch. Die ehemalige Hauptstadt am Rande des Atlas mit ihren einheitlich orange-rot-färbigen Häusern inmitten vieler Gärten ist gewiss ein Höhepunkt jeder Reise in dieses nordwestafrikanische Land. Zentraler Mittelpunkt in Marrakesch ist die Dschemaa el Fna , das ist der Platz, wo sich alles abspielt, ein riesiger Basar und Markplatz, auf dem sich Gaukler, Märchenerzähler und Schlangenbeschwörer tummeln, und dort habe ich Mohammed getroffen. Ein Junge im Alter von sieben, acht, neun Jahren, der einen Bauchladen mit Schminkprodukten vor sich hertrug und mir diese andrehen wollte. Mit seinem Spruch „Madame, bitte kaufen Sie“ verfolgte er mich auf Schritt und Tritt. Ich wollte ihn fotografieren und filmen, doch er war schon ein richtiger Geschäftsmann und verlangte dafür Bares. Darüber war ich belustigt und erstaunt gleichermaßen, ich habe den Deal abgelehnt und musste auch weiter, der Bus unserer Gruppe wartete schon. Das Aussehen und die Art dieses Bengels ließen mich nicht los, und ich ärgerte mich über mein Verhalten. Am Nachmittag hatte unsere Reisegruppe freie Zeit und ich besuchte nochmals diesen riesigen Markt, und wen treffe ich dort? – Mohammed. Sofort gab es im Austausch von ihm das Ok zu Fotos und von mir reichlich Dirhams.
Am liebsten hätte ich dieses entzückende Kind mit seinem unschuldigen Blick nach Salzburg mitgenommen.

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Zwei niedliche kleine Elefanten, einer bunt bemalt, die ich auf der Dschemaa el Fna erstanden habe, erinnern mich noch heute an Mohammed, die Fotos von ihm habe ich oft angesehen. Diese Begegnung hatte aber eine noch viel weitergehende Bedeutung und Folge für mich: Von da an hat sich der Wunsch in mir gefestigt, einmal Mutter eines solchen Kindes zu sein. Und fünf Jahre später ist dieser Wunschtraum für mich in Erfüllung gegangen. 1991 wurde mein Sohn geboren, wohl die größte Freude und das größte Geschenk meines Lebens.

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Der größte Elefant in meiner Herde ist 40 Zentimeter hoch und 60 Zentimeter lang, aus weißem Ton mit blauer Verzierung, wiegt nicht wenig, ist richtig standfest und begleitet mich schon seit ewigen Zeiten.
Er ist ein Blumentopf-Elefant, das heißt auf seinem Rücken befindet sich eine Stellfläche. Kleinere Wehwehchen gab es immer wieder, die gut mit Klebstoff beseitigt werden konnten.

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Winzig klein hingegen mit einer Länge von etwa zwei Zentimetern ist mein Glaselefant aus der berühmten Manufaktur in Wattens. Er thront auf dem Kopiergerät, neben einem Troll aus Schweden. Als mein Sohn klein war, hatte es ihm mein Zoo auch angetan. Unzählige Male musste ich Stoßzähne diverser Elefanten an- und zusammenkleben.

Sieben Sommerurlaubselefanten stehen in vertrauter Runde zusammen und erinnern mich unter anderem daran, wie ich in Santorin nach einem Ritt auf einem Esel bergab in meinen Handtellern blutete und wunde Stellen hatte, weil am Haltegriff des Zaums die Polsterung nicht mehr vorhanden war und das blanke Eisen scheuerte, wie auf Zakynthos eine Freundin dem vom Wind weggeblasenen Plastikhai meines Sohnes nachgeschwommen ist und ihr dabei die Kräfte ausgingen und sie mit wieder gefangenem Hai von einem anderen Boot gerettet werden musste, wie ich auf Zypern meinen Sohn unter Wasser verschwinden sah und mir nur eines dachte: „Hätte ich ihn doch nicht zu diesem Tauchkurs angemeldet“ –

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oder wie wir in der Ruinenstadt Petra in Jordanien, am Knotenpunkt der ehemaligen Weihrauchstraße, durch die schroffe 70 Meter hohe Felsschlucht aus rosafarbenem Sandstein wanderten und über das in der Antike von den Nabatäern errichtete Wasserversorgungssystem erstaunt waren, aber auch an die mehrmaligen Aufenthalte in Ägypten am Roten Meer, wo man anfangs den Augen kaum traut, welche farbenprächtigen Fische um die Beine streichen und zu ständigen Begleitern werden.

© Silberfüchsin

2010 war ich beim Karneval in Rio de Janeiro. Was soll man sagen: Die Parade der besten Sambaschulen im Sambodrom gehört wohl zu den größten und farbenfrohsten Festen weltweit und bleibt ein unvergessliches Ereignis. Elefanten gibt es aber auch an der Copacabana, ein kleiner brauner hölzerner Dickhäuter befand sich in meinem Reisegepäck.

In Bella Italia bewegte ich mich im Jahre 2012 auf den Spuren der Mafia, ohne natürlich auch nur ansatzweise mit der „ehrenwerten Gesellschaft“ etwas am Hut zu haben. Ein findiges Angebot für Sizilien-Reisende trägt diesen Titel. Und ich erinnerte mich gut daran, dass zu Beginn meiner Berufstätigkeit in den 1970iger Jahren Buch und Film von „Der Pate“ ein großes Thema gewesen sind. Und genau zu all den Drehorten des Filmes führte diese Reise im Cinquecento-Konvoi, richtig cool im kleinen Flitzer am Steuer zu sitzen und durch Sizilien zu kurven. Beginnend im zauberhaften Bergdorf Savoca, wo in der berühmten Bar Vitelli Al Pacino alias Michael Corleone seiner Apollonia den Heiratsantrag gemacht hat, bis nach Fiumefreddo di Sicilia zum Castello Degli Schiavi. Hier stand und steht das Haus des Film-Paten. Dort vor dem Schloss wurde ein wahrhaft fürstliches Diner gegeben, begleitet von Schauspielern, im Aussehen den seinerzeitigen Akteuren nicht unähnlich, und diese spielten Teile des Films nach, und am Ende explodiert tatsächlich das Auto, in dem Apollonia saß.

© Silberfüchsin

Mein Quartier hatte ich im bezaubernden Taormina, und bei einem abendlichen Spaziergang hatte ich nicht nur ein herrliches Pastagewürz gekauft, angelacht hat mich auch ein edler Elefant aus Porzellan, der seither Mitglied meiner Elefantenfamilie ist.
Meine bislang letzten Elefanten stammen aus Namibia, von dort, wo die Dickhäuter auch richtig zu Hause sind. Auf einer Safari im Etosha-Nationalpark habe ich einige dieser beeindruckenden Tiere hautnah gesehen, ihre Ausstrahlung ist unbeschreiblich.

© Silberfüchsin

Meine Elefantensammlung erfuhr nach dieser Reise auch eine Erweiterung um die Big Five, das heißt neben einem Elefanten gesellte sich ein Nashorn, ein Büffel, ein Löwe und ein Leopard, ja sogar eine Giraffe als sechste dazu.

Für mich etwas ganz Besonderes ist aber ein zusätzlicher kleiner Elefant aus Holz, zwölf cm lang, acht Zentimeter hoch, der auf einem Podest thront, auf dem mein Name als Gewinnerin eines Leistungsbewerbs eingetragen ist. Die Finder dieser Idee wussten natürlich nicht, dass Elefanten meine Lieblingstiere sind. Für mich war es umso stimmiger. 
Ja, ich habe diese großartige Reise zum Ende meiner Berufskarriere erhalten, bekommen für eine wenig geliebte Tätigkeit, die ich dennoch verantwortungsvoll und engagiert viele Jahre hindurch sehr erfolgreich erledigt habe.

© Silberfüchsin

Dieser kleine Elefant steht für mich auch sinnbildlich dafür, nicht aufzugeben, zu kämpfen, Verantwortung tragen, positiv an Aufgaben heranzugehen, auch wenn die Umstände oft mehr als schwierig sind. Der Elefant ist und bleibt ein und mein Glückssymbol.

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Eine kurze Lebens-Reise-Geschichte von „Silberfüchsin“

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Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

Warten | Heike Genzel

Ich glaube, sagst du
in die Stille zwischen uns
mit deiner leisen Stimme,
bald kommt mein
Himmel auf Erden.
Die Zeichen deuten darauf hin.

Zuvor hast du lange geschwiegen.
Dein Schweigen ist mir vertraut,
und auch deine Worte
überraschen mich nicht.

Welche Zeichen, frage ich
und blicke in deine sanften Augen.
Kreise, erwiderst du,
Kreise und Dreiecke.

Kreise und Dreiecke?
Das Dach eines Hauses
bildet ein Dreieck, erklärst du
mir und schweigst wieder.
Die Kreise erwähnst du nicht.

Ich weiß nicht, was dir
damals passiert ist.
Niemand sagt mir etwas,
aber ich ahne es.

Manchmal steigt Zorn auf
deinen Vater in dir auf.
Es muß alles aufgedeckt
werden, rufst du dann
in großer Erregung.

In diesen Momenten
wünsche ich, ich könnte
mehr für dich tun als
dir meine Freundschaft
zu geben.

Aber wie kann ich das,
wenn selbst Ärzte nicht mehr
für dich tun können, als
deine zerbrochene Seele
mit Tabletten zu bandagieren.

Tag für Tag, Monat für
Monat, Jahr für Jahr.
Du bist ein gutaussehender
Mann mit freundlichem Wesen.
Aber nie wirst du das Verlangen
eines Mannes spüren, nie eine Freundin,
nie Kinder haben.

Eine freundliche Farbe, bei
der man sich wohlfühlt,
wenn man sie anschaut,
kann auch ein Zeichen sein,
höre ich dich in
meine Gedanken hinein.

Wann kommt dein
Himmel auf Erden?
Du zuckst die Schultern.
Ich weiß es nicht, aber
dann beginnt ein neues
Leben, sagst du
voller Zuversicht.

Lässt du mich wissen,
wenn dein Himmel auf Erden
gekommen ist, bitte ich.
Ja, versprichst du
mir ohne Zögern.

Du schenkst mir dein
kurzes, seltenes Lächeln.
Ich lächle zurück und
glaube für einen Augenblick,
dass dein Himmel auf Erden
kommen wird.

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Dieser Text entstand in der Schreibwerkstatt 2019.
Danke dafür!

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