roter regen | 27

da saß ich also in meinem haus, auf das ich mich so gefreut hatte, blickte auf den rosengarten, auf den ich so stolz gewesen war, und war davon überzeugt, verrückt zu werden.

meine gedanken drehten sich im kreis, ich hatte keine ahnung, was ich tun sollte –
und das tagebuch der lady eleonore gab mir keinerlei heinweise darauf, was mit mir los war, ob ich im werden war, wie einst lady eleonore, oder ob ich einfach nur einen knall hatte.
mehrere stunden saß ich in meinem lehnstuhl, das aufgeschlagene tagebuch auf den knien, und blickte in die ferne. nur ganz nebenbei nahm ich den gesang wahr, der manchmal aus dem keller zu mir nach oben drang, er war schon längst zu einem festen bestandteil meines lebens geworden.

als die sonne langsam über meinem rosengarten unterging, hatte ich einen plan gefasst, wie ich weiter vorgehen wollte, einen wasser.dichten plan, der mir zeigen würde, ob ich wirklich auf dem besten wege war, verrückt zu werden –
oder ob dieses haus tatsächlich sonderbar war und der raum im keller mir szenen aus meiner kindheit zeigte.
ich stand also auf, suchte in den noch nicht ausgepackten umzugskartons nach dem camcorder, den ich vor einigen jahren gekauft und noch nie verwendet hatte, legte ein aufnahme.band ein und stellte das gerät auf den tisch in der küche.
morgen früh, so war mein plan, würde ich im garten ein paar runden laufen, danach duschen und ausgiebig frühstücken, eine große tasse kaffee trinken –
und dann mit meinem camcorder in den keller gehen und meiner vergangenheit einen weiteren besuch abstatten.
den camcorder wollte ich mit einem gürtel an mir selbst befestigen, damit er nicht verloren ging.

nach meiner rückkehr ins jetzt würde ich mir das band ansehen und über mich selbst ein urteil fällen:
war mein haus ein besonderes, ein magisches, eines, in dem seltsame dinge geschahen –
oder war ich einfach nur verrückt?

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roter regen | 21

ein schritt.
noch einer.
und noch einer.

der gesang, der immer lauter wurde.
der schwindel, der von mir ergriffen hatte.
der rote schein, der durch den geöffneten spalt der tür drang.

ein weiterer schritt.
die tür war zum greifen nahe.
noch ein schritt, dann konnte ich die tür weiter öffnen, der spalt wurde größer, ich konnte schon einen blick auf das erhaschen, was hinter der tür lag.
ich hielt den atem an, doch ich bemerkte es kaum. ich hörte mein blut in den ohren rauschen, lauter noch als den unheimlichen gesang.
ich machte noch einen schritt, stand schon fast in dem raum hinter tür, da hielt ich noch einmal inne.

was ich da hörte, war nicht mein blut, das in den ohren rauschte –
es war meeres.rauschen.
ja, ganz eindeutig, ich hörte das meer, die brandung, und da, das war eine möwe!

das meer?
hinter einer tür in meinem keller?
ich war mir sicher, den verstand verloren zu haben, und dennoch konnte ich nicht anders –
ich machte noch einen schritt, den letzten schritt, und trat damit über die schwelle.

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roter regen. | 18

doch ich ignorierte sämtliche warnungen und wunderte mich nur –
wie konnte es sein, dass in einem so großen, alten haus nicht ein einziges werk.zeug zu finden war?

verärgert und ein wenig enttäuscht, mein vorhaben schon wieder auf unbestimmte zeit verschieben zu müssen, nahm ich den kopf.hörer ab. bis zu diesem zeitpunkt hatte ich das singen im keller erfolgreich verdrängen können –
doch kaum, dass ich den kopf.hörer abgenommen hatte, verschlang mich der gesang, ich konnte ihn mit jeder faser meines körpers wahrnehmen, er schien mich vollkommen zu vereinnahmen.

überzeugt, von dieser musik wahn.sinnig zu werden, schloss ich die augen, hielt ich mir die ohren zu und drehte mich langsam mehrmals im kreis, wie um mich aus diesem sog zu befreien.
als ich mehrere umdrehungen hinter mir hatte, öffnete ich wieder meine augen.
doch ich hatte mich gar nicht im kreis gedreht –
ich hatte mich mit dem gesicht zur tür gedreht.

zu jener tür, die weder eine klinke noch ein schloss hatte, die aber nun, nach meinem komischen tanz, einen spalt weit offen stand und mich einzuladen schien, den raum dahinter zu erkunden.

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roter regen | 17

am nächsten morgen war ich fest davon überzeugt, dass ich den mut aufbringen und die tür im keller aufbrechen würde.
ich stärkte mich mit einem doppelten espresso, verschlang zwei semmeln mit butter und marmelade und machte mich dann auf den weg in den keller.
dort unten musste ich als aller.erstes eine axt finden –

und den seltsam stimmlosen sing.sang aus meinem kopf verbannen. ich konnte nicht einmal meine eigenen gedanken hören, so erfüllt war ich von dem gesang, der aus dem keller direkt in meinen kopf drang.

also machte ich wieder kehrt und holte aus einem meiner koffer den mp3.player und die kopf.hörer –
musik würde dieses problem wohl lösen, dachte ich mir.
ich stellte die musik so laut, dass ich mich nicht einmal mehr selbst denken hörte.
so geschützt vor dem sing.sang stapfte ich wieder in keller.

hier unten musste es doch irgendwo eine axt geben!
ich durchstöberte jede ecke, jedes regal, ich öffnete un.mengen an kisten, atmete tonnen.weise staub aus lady eleonores zeit ein –
axt aber fand ich keine.
auch keinen hammer, keine säge, nicht einmal ein kleiner schraubenzieher kam mir unter.

irgendwie hatte ich das gefühl, das haus wollte verhindern, dass ich jene tür öffnete –
ach, hätte ich doch nur auf dieses gefühl gehört.

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roter regen | 16

vormittags.
nach.denken.

mittags.
ein schnelles sandwich am küchen.tisch.

nachmittags.
nach.denken.

abends.
tiefkühlpizza aus dem backofen.

danach.
kein mut mehr, um in den keller zu gehen.

den ganzen tag über hatte ich versucht, alle gedanken an den keller zu vermeiden. doch –
je mehr ich es vermeiden wollte, umso mehr hatte ich dann daran gedacht.
als ich abends meinen schreib.tisch betrachtete, fand ich die alten dokumente über lady eleonore, ihr tage.buch, pläne des hauses –
alles wild verteilt, durcheinander. ich konnte mich nicht erinnern, darin gelesen zu haben. ich wusste nur, ich musste diese tür im keller öffnen.

egal wie.
aber nicht mehr an diesem tag.

ich würde das öffnen der tür auf den nächsten tag verschieben, oder auf den über.nächsten. immerhin mußte ich mir erst eine axt organisieren, einen plan schmieden – und einen freien kopf bekommen.
dann würde ich klarheit schaffen, was es mit dem haus auf sich hatte.

und mich wieder aus dem sog befreien.

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roter regen | 14

am nächsten morgen erwachte ich mit stechendem kopfschmerz.
ich setzte mich in meinem bett auf, hatte zuerst keine ahnung, wo ich war, oder warum ich in diesem staubigen bett lag, doch nach ein paar minuten kam meine erinnerung zurück.
beim gedanken an den regen, –

den roten regen –

dem ich mich gestern ausgesetzt hatte, durchfuhr mich ein schauer.
wie hatte ich nur diese unglaublich dumme idee haben können? mich in den regen zu stellen, freiwillig!

ich stand auf, wankte ins badezimmer und wusch mir mein gesicht. als ich mich abtrocknete, bemerkte ich eine rote stelle am haaransatz, klein nur, aber nicht zu übersehen.
ich packte mein handtuch und rubbelte darüber, doch die stelle blieb rot.
bei näherer betrachtung stellte ich fest, dass die stelle aussah, als hätte ich mir roten samt ins gesicht geklebt. ich betupfte den fleck mit einem starken desinfektionsmittel und hoffte, dass sie morgen wieder verschwunden sein würde.

einen kurzen moment lang hatte ich zweifel, ob es die richtige entscheidung gewesen war, das rosenhaus zu kaufen. schon am ersten tag so viele verrückte ereignisse: die tür im keller, der rote regen, samtige flecken im gesicht –
und der gesang schien auch immer stärker zu werden.

hatte ich einen fehler gemacht?
sollte ich besser wieder abfahren, versuchen, dem sog zu entkommen?

oder war es dafür schon zu spät?

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roter regen | 13

die regentropfen, die mein gesicht berührten, fühlten sich samtig an, sie liefen auch nicht so schnell nach unten wie normaler regen, sie schienen mich zu liebkosen, verharrten einen augenblick auf der stelle, um dann weiter nach unten in den kragen meines hemdes zu fließen.

langsam ging ich richtung rosengarten, die treppe hinab.
die rosen, sie zogen mich magisch an, ich hatte das gefühl, sie würden mich vor jedem leid der welt beschützen können.
auch vor dem regen, dem verwirrend roten.

eine zeit lang stand ich unbewegt inmitten meiner rosen.
ich hatte die welt rings um mich völlig vergessen.
erst, als es dann plötzlich donnerte, erwachte ich aus meiner starre, drehte mich um und ging zurück ins haus.

ohne innezuhalten schritt ich bis ins badezimmer, drehte die dusche auf und stellte mich mitsamt meiner kleidung unter den eiskalten strahl.
langsam erwachte ich wieder aus meiner seltsamen starre.
ich fühlte mich unendlich müde, erschöpft, ausgelaugt und leer.

der regen, der mich und die welt rot gefärbt hatte, hatte inzwischen aufgehört.
doch in mir drinnen konnte ich ihn noch immer hören.

ich wusch mir sorgfältig die roten schlieren vom körper, steckte meine rotgefärbten kleider in die waschmaschine, und legte mich in das erste bett, das mir unter kam.
ich hatte das gefühl, meine augen keine einzige weitere minute offenhalten zu können und schlief auf der stelle ein.

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roter regen | 12

der widerstand in mir schien mich festhalten zu wollen.

lass es sein, sieh nicht hin!

murmelte der widerstand.
doch ich konnte nicht anders, ich musste hinsehen.
jetzt erst recht.

der regen hatte meinen rosengarten in ein noch prächtigeres farbenmeer verwandelt, als er ohnehin schon war.
das rot der rosen strahlte –
und doch war es anders als sonst.

ich trat näher ans fenster, um meine rosen besser sehen zu können, und wollte schon die tür öffnen, als mich der gedanke an die nässe dort draußen innehalten ließ.

nein, nass werden wollte ich um keinen preis.
aber meine rosen, die wollte ich sehen, dort draußen im regen.
ein zufälliger blick auf meine bäume rund um den rosengarten ließ mich innehalten.

seit wann waren auch die bäume in meinem garten rot?
dort standen nadelbäume und laubbäume, aber keine roten.
und doch war es so:
in meinem garten standen plötzlich rote bäume.

nein, das entsprach so nicht der wahrheit.
die bäume in meinem garten waren grün, doch der regen tropfte rot von ihnen herab und ließ sie leuchten.
auch das wasser in dem kleinen springbrunnen hatte sich rot verfärbt, die lacken auf der terrasse schienen aus blut zu bestehen, und auf meinem auto zog der regen rote schlieren.

ich war so entsetzt, dass ich meine abneigung gegen die nässe und den regen vergaß und auf die terrasse stürmte.

da stand ich nun, zitternd, im kalten regen, mit zum himmel erhobenen kopf –
und starrte mit weit aufgerissenen augen nach oben.

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roter regen | 11

abgesehen von diesem roten schein war es im keller sehr dunkel, denn die kleinen fenster, die licht hereinlassen hätten können, waren mit dicken brettern vernagelt, und die glühbirne, die von der decke baumelte, hatte wohl einer der vorbesitzer versehentlich zerschlagen und nicht erneuert.
also beschloss ich, mich mit einer taschenlampe zu bewaffnen und den keller genauer zu durchsuchen.

im keller angelangt offenbarte der strahl meiner lampe etwas, das ich niemals erwartet hätte –
als ehemals zuständiger immobilienmakler kannte ich alle pläne des hauses, hatte jeden raum schon mindestens einmal betreten und zumindest einen blick in den keller geworfen.

und doch fand ich an diesem ersten tag in meinem haus eine tür im keller, die laut plan nicht hätte da sein dürfen.
eine tür, die verschlossen war, und die zu allem überfluss weder eine klinke noch ein schloss hatte.

wie also sollte ich in den raum hinter der tür gelangen?
ich brannte darauf zu erfahren, was ich dort vorfinden würde, doch ich hatte keine ahnung, wie ich die schwere holztüre öffnen sollte.

entmutigt ließ ich mich vor der tür zu boden sinken.
so eine große entdeckung, und dann sollte es mir nicht gelingen, das geheimnis vollends zu lüften?

ich schloss die augen, um besser nachdenken zu können –
als ich regen hörte.

gerade eben hatte doch noch die sonne geschienen –
und jetzt regnete es?
ich hoffte, dass ich im keller nicht nass werden würde, wer konnte schon wissen, wie viel wasser bei einem ordentlichen regenguss in den keller eindrang.

ich stieg also wieder nach oben, mit dem plan, mich gemütlich ins wohnzimmer zu setzen und meinen rosengarten im regen zu betrachten.

doch schon an der tür zum wohnzimmer hielt ich inne.

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roter regen | 10

kühle dunkelheit empfing mich.
alle fensterläden waren geschlossen, hie und da drang jedoch ein wenig sonnenschein durch einen schlitz und ich konnte staubkörnchen tanzen sehen.

es fühlte sich großartig an, hier zu sein.
endlich angekommen zu sein.
und ich hoffte, dass ich nun beginnen konnte

zu werden.

erfüllt von einer plötzlichen freude stürmte ich wieder zu meinem auto, um meine besitztümer zu holen. viel war es nicht, was ich mitgebracht hatte, vor allem bücher und unterlagen, die mir das leben der lady eleonore näher bringen sollten, es aber bisher noch nicht getan hatten.
meine möbel hatte ich alle der örtlichen armensammlung gespendet, denn mein rosenhaus war möbliert –
zwar nicht gerade nach meinem geschmack, aber ich wollte nichts an meinem neuen haus verändern, was nicht unbedingt sein musste.

die nächsten stunden verbrachte ich damit, mein neues zuhause zu erforschen, vom dachboden bis zum keller.
es gab nicht sonderlich viele dinge, die meine aufmerksamkeit erregt hätten –
alte bilder an zerfetzten tapetenwänden, mottenbefallene möbel in staubigen zimmern und kitschiger krimskrams, den ich am liebsten sofort entsorgt hätte –
doch ganz hinten in meinem kopf hörte ich eine leise stimme, die mich davon abhielt.

einzig der keller erweckte mein interesse.
er schien zu pulsieren, war von einem eigenartigen roten licht erfüllt –
und wenn ich ganz genau hinhörte, mit geschlossenen augen, glaubte ich

jemanden singen zu hören.

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