roter regen | 20

ja wer ist denn da aufgewacht?
ist es nicht ein wunderbarer vormittag heute? die vögel zwitschern, die sonne scheint, hach, ganz wunderbar!

eingesperrt?
aber nein, mein lieber, das erkläre ich Ihnen doch jeden tag, Sie sind hier nicht eingesperrt, es ist zu Ihrem besten, wirklich! wir müssen einfach schauen, dass Sie wieder auf die beine kommen, körperlich, aber vor allem auch psychisch. wir müssen an dieser angst vor dem regen arbeiten, und Sie dürfen auch nicht jeden sonntag im speisesaal randalieren, wenn die enkelkinder der anderen bewohner himbeersaft neben Ihnen trinken.
ich weiß ja nicht, was Ihnen damals in dem keller passiert ist, in dem Ihr ehemaliger chef Sie gefunden hat, aber eins ist klar:
normal ist das nicht. und darum sind Sie hier.

wie?
ja aber natürlich werde ich Sie heute wieder mit dem waschlappen waschen, muss ich ja auch, immerhin haben Sie den duschkopf in Ihrem badezimmer, naja, sagen wir abmontiert.
hier hab ich auch schon alles, fangen wir wieder am rücken an mit dem schrubben?
sehr gut.

ich war mit meinem mann übrigens letzte woche bei Ihrem alten haus, der rosengarten ist noch immer ganz wundervoll, und wie es dort duftet! es war zwar nicht valentinstag, aber trotzdem sehr romantisch, mein mann hat gar nicht glauben können, dass die rosen wirklich immer blühen, sogar die bäume haben rote blüten getragen, toll war das.

so, bitte umdrehen, jetzt schrubben wir den bauch, aber Sie müssen schon ein bisschen still halten und nicht so zappeln, sonst bekomm ich nicht alles weg. der rote flaum ist heute weniger, schön, vielleicht hilft die neue creme, die Ihnen der herr doktor verschrieben hat.

mein mann war übrigens ganz verwundert, dass das haus angeblich leer steht. wir haben beim spazieren gehen jemanden singen hören, da hat wohl jemand einen übungsraum im keller, es war wirklich ein toller gesang.
was?
nein, wir sind natürlich nicht in den keller gegangen, das wäre ja hausfriedensbruch! mein mann hat nur durch eins der fenster geschaut, aber da war nichts zu sehen, alles war voller roter schlieren, so rotes algenzeugs, glaub ich.

gleich haben wir’s, dann kommt die schwester und bringt Sie zur therapie, ja? ich glaub, heut steht gesprächstherapie auf dem plan, das wird toll werden, schritt für schritt in ein neues leben! ich freu mich für Sie!

so, jetzt sind wir fertig. alles sauber!
dann wünsch ich Ihnen noch einen wunderbaren tag, erholen Sie sich gut, ja? ich hab jetzt dann frei, hatte heut ja nachschicht. mein mann wartet schon auf mich, der ist heut daheim geblieben, irgendwas ist mit seinen augen, er meinte, er sehe alles ganz rot, als wär da was drinnen in seinen augen.
naja, der arzt wird das klären, nehm ich an.

aber nicht doch, nein, warum schreien Sie denn schon wieder? bitte, beruhigen Sie sich doch!

(weiter.lesen.)

 

 

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